Ausstellung ‚Bauhaus ׀ documenta. Vision und Marke‘ in der Neuen Galerie Kassel

Ausstellungsansicht „bauhaus I documenta. Vision und Marke“ © documenta archiv / Foto Nicolas Wefers

24. Mai 2019 | Die Ausstellung „Bauhaus I documenta. Vision und Marke“ reflektiert erstmals die beiden Insti­tutionen Bauhaus und documenta im Vergleich. Das 100-​jährige Bauhaus-​Jubiläum 2019 bietet den Anlass, die Entwicklung beider zu Kulturmarken gewordenen Insti­tutionen zu betrachten und damit zugleich kritisch zu hinterfragen: Wo bleiben sich die Marken treu als Verpflichtung zu Innovation und Fortschritt, wo sind sie Teil einer inter­es­sens­ge­leiteten Verein­nahmung? So bietet die Ausstellung zugleich den Blick auf die Rolle und Funktion, die Kunst und Kultur in einer Gesellschaft heute einnehmen können.

Das vor 100 Jahren in Weimar gegründete Bauhaus und die 1955 erstmalig in Kassel eröffnete documenta: Beide stehen bis heute für eine Tradition der Moderne und Avantgarde in Deutschland, für visionäre Kulturmarken von inter­na­tionaler Strahlkraft und den Glauben an künst­lerische Innovation und ihre sozial­re­for­ma­torische Kraft. Beide haben ihre eigenen ideellen Werte ausgebildet und eine fast populäre Bekanntheit erlangt.

Anhand von Instal­lationen, dokumen­ta­rischen Objekten, statis­tischem Material und einigen hochka­rätigen Origi­nal­kunstwerken kreiert die Ausstellung einen Parcours über sieben Themenräume, der von der Entstehung und den ersten Visionen beider Kultur­in­sti­tutionen bis hin zur heutigen Rezeption reicht. Ausge­stellte Künstler/innen sind u.a.: Marianne Brandt, Marcel Breuer, Bazon Brock, Hans Haacke, Wassily Kandinsky, Barbara Klemm, Aleksandr Ptuschko und Gilles Raynaldy.

Gegliedert in sieben Themen­bereiche fragt die Ausstellung nach Vermitt­lungs­strategien und Medien­re­zeption, nach Macht und Einflüssen, nach Idealen, Werten und Verwert­barkeiten:

Was motiviert Personen, Insti­tutionen, ganze Städte zur Beschäftigung mit Kunst und Kultur? Welche Vermitt­lungsformen gibt es? Wer trifft die maßgeblichen Entscheidungen über Auswahl, Darstellung und Wirkung? Und was sind die Zielgruppen: Wer wird erreicht? Und wer nicht? Philipp Oswalt, einer der beiden Kuratoren der Ausstellung: „Die Paral­lel­be­trachtung von Bauhaus und documenta ermöglicht völlig neue Einblicke in die beiden Kulturmarken. Zugleich hinterfragt sie kritisch das Versprechen, dass Kunst gesell­schaftlich emanzipativ wirksam ist.“

Flankiert wird die Ausstellung von einer Virtuellen Ausstellung zum Thema „Wie viel Bauhaus steckt in der documenta? Eine Spurensuche“ sowie einer Publikation, die alle Projekt­be­standteile umfasst. Zudem wird es ein hochkarätig besetztes Symposium in der Kunst­hochschule Kassel (14.–15. Juni 2019) geben, das der Frage nachgeht: „Sind wir wirklich nie modern gewesen? Bauhaus und documenta in Wahlver­wandtschaft“.

Die Virtuelle Ausstellung

„Wie viel Bauhaus steckt in der documenta? Eine Spurensuche“
Die Virtuelle Ausstellung geht der Frage nach, auf welche Weise sich Bauhaus-​Konzepte in Künst­ler­auswahl und Gestaltung der seit 1955 statt­findenden documenta Ausstellungen einge­schrieben haben. So hat das Bauhaus Einfluss auf den documenta Gründer Arnold Bode und seine wichtigsten Mitstreiter, zu denen auch der Bauhaus­schüler Fritz Winter gehörte. Mit fast 300 Werken waren siebzehn Bauhäusler auf den ersten documenta Ausstellungen vertreten – das visuelle Erschei­nungsbild der documenta weist in den ersten Jahrzehnten Parallelen zur Bauhausgrafik auf.

Die Virtuelle Ausstellung dokumentiert diese Bezüge und stellt sie anschaulich zur Diskussion.

Die Publikation

Die Publikation „Bauhaus I documenta. Vision und Marke“ (hrsg. von Birgit Jooss, Philipp Oswalt und Daniel Tyradellis) verbindet die thema­tischen Ausrichtungen der Ausstellung mit den kunst­his­to­rischen Perspektiven der Virtuellen Ausstellung. Die reich bebilderte Publikation enthält Aufsätze von Gerda Breuer, Kathryn W. Floyd, Walter Grasskamp, Annette Tietenberg, Fred Turner, Wolfgang Ullrich u.v.m. sowie Auszüge histo­rischer Quellentexte von Bauhaus und documenta. Sie beschäftigt sich mit den Ursprüngen beider Kulturmarken, ihren Identitäten, Formen der Übertragung sowie den Visionen der Marken heute und erscheint zur Ausstellung als Klappen­broschur zum Preis von € 32 bei Spector Books.

Das Symposium

„Sind wir wirklich nie modern gewesen? Bauhaus und documenta in Wahlver­wandtschaft“
Das öffentliche Symposium beschäftigt sich mit den impliziten Moder­ni­täts­nar­rativen des Bauhauses und der documenta Ausstellungen. Es wird die Ursprungs­kon­stellation in Weimar und Kassel erörtert und die Metamorphosen im Durchgang durch Neu-​Delhi, St. Lucia, Lagos (alle documenta 11), Kabul (documenta 13) oder Athen (documenta 14) erkundet. Woher kommen die beiden miteinander verwobenen Narrative, welche Entwicklungen, welche Beanspru­chungen und Dynamiken haben sie erfahren, mit welchen anderen haben sie sich verbunden und welche Fäden sind von hier aus gesponnen worden?
14. – 15. Juni 2019, Hörsaal Kunst­hochschule Kassel

Zum theore­tischen Diskurs

Zwei Kultur-​Marken und ihre Entwicklung. Die konzep­tionellen Überlegungen zur Ausstellung und ihren Inhalten
Bauhaus und documenta sind zwei global erfolgreiche kulturelle Marken, die für ein weltoffenes, innovatives und modernes Deutschland stehen. Entstanden sind beide vor dem Hintergrund von Zivili­sa­ti­ons­brüchen – beide stehen exemplarisch für die Idee der emanzi­pativen Kraft von Kunst und Kultur, die das Leben des Einzelnen bereichern, das soziale Zusam­menleben reflektieren und den gesell­schaftlichen Fortschritt befördern.

Während das Bauhaus der Krise der Indus­tria­li­sierung und den Versehrungen des Ersten Weltkrieges durch angewandte Gestaltung von Dingen, Räumen und Gebäuden begegnen wollte, knüpfte die documenta an die romantische Idee der Ausein­an­der­setzung mit der freien Kunst an, durch die die Menschen wieder zu verant­wortlichen Bürgern werden sollten. Während das Bauhaus neben wie auch als Ergebnis der künst­le­rischen Ausein­an­der­setzung mit Produkten in die Zukunft unserer öffentlichen wie privaten Lebenswelten „eingreifen“ wollte und schnell sich selbst als Marke mit vielen Untermarken ausbildete, musste sich die documenta immer wieder aufs Neue und bis heute an ihrer Bedeutung als Marke – an der Schnittstelle zur Vermarktung und den Ansprüchen einer erfolg­reichen eigenen „Wirtschaft­lichkeit“ „abarbeiten“ und ihre eigene Autonomie schützen. Obschon beide in ihren unter­schiedlichen Entwicklungen vielfältigem Wandel unterworfen waren und sind, haben sich ihre Ansprüche erhalten und prägen bis heute die Wahrnehmung und das Selbst­ver­ständnis beider Marken – in ihren Motiven, ihren Strategien und ihren Erfolgen.

Ausstellung ‚Bauhaus ׀ documenta. Vision und Marke‘ in der Neuen Galerie Kassel vom 24. Mai bis 8. September 2019